Lyrik

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Sieben Septillionen Jahre
zählte ich die Meilensteine am Rande der Milchstrasse.
Sie endeten nicht.
Myriaden von Aeonen
versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens.
Es erschlossen sich immer neue.
Mein Herz erzitterte!
Selig ins Moos
streckte ich mich und wurde Erde.
Jetzt ranken Brombeeren
über mir,
auf einem sich wiegenden Schlehdornzweig
zwitschert ein Rotkehlchen.
Aus meiner Brust
springt fröhlich ein Quell,
aus meinem Schädel
wachsen Blumen.

Arno Holz

Nicht schäme dich / du saubere Melinde /
Daß deine zarte reinligkeit
Der feuchte mond verweist in eine binde /
Und dir den bunten einfluß dräut.
Der grosse belt hegt ebb‘ und flut /
Was wunder / wenns der mensch der kleine thut.

Die röthligkeit bei deinen bunten sachen
Hat niemahls deinen schooß versehrt.
Wie muscheln sich durch purpur theuer machen /
So macht dein schnecken-blut dich werth.
Wer liebt ein dinten-meer wohl nicht /
Weil man daraus corallen-zincken bricht?

Nur einmahl bringt das gantze jahr uns nelcken /
Dein blumen-busch bringts monatlich /
Dein rosen-strauch mag nicht verwelcken /
Sein dorn der hält bey dir nicht stich /
Denn was die sanfften blätter macht /
Das ist ein thau von der johannis-nacht.

Kanst du gleich nicht die lenden hurtig rühren /
Lobt man dich doch im stille stehn /
Der augenblau wird leichtlich sich verlieren /
Denn wirst du seyn noch eins so schön.
Man sammlet / spricht die gantze welt /
Viel besser frucht / wenn starcke blüte fällt.

Laß mich darum doch keine fasten halten /
Ein könig nimmt den schranck zwar ein /
Doch muß er fort / wann sich die wasser spalten /
Der geist muß ausgestossen seyn.
Man geht / wie iedermann bekandt /
Durchs rothe meer in das gelobte land.

Johann von Besser – 1654-1729

Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.

Alfred Lichtenstein – 1911

Ein Staubbaum wächst
Ein Staubwald überall wo wir gegangen
Und diese Staubhand weh! rühr sie nicht an!

Rings um uns steigen Türme des Vergessens
Türme die nach innen fallen
Aber noch bestrahlt von deinem orangenen Licht!
Ein Staubvogel fliegt auf

Die Sage unsrer Liebe laß ich in Quarz verwahren
Das Gold unsrer Träume in einer Wüste vergraben
Der Staubwald wird immer dunkler
Weh! Rühr diese Staubrose nicht an!

Yvan Goll

Nafikare necesse est.
Meine längste Braut war Alwine.
Ihrer blauen Augen Gelatine
Ist schon längst zerlaufen und verwest. –
Alwine sang so schön das Lied:
„Ein Jäger aus Kurpfalz“.

Wie Passatwind stand ihr der Humor.
– Sonntags morgens wurde sie bestattet
In der Heide, wo kein Bäumchen schattet,
Du auch ihre Unschuld einst verlor.

Donnerstags grub ich sie wieder aus.
Da kamen mir schon ihre Ohrlappen
So sonderbar vor.

Freitags grub ich sie wieder ein.
Niemand sah das in der stillen Heide. –
Montags wieder aus. Von ihrem Kleide,
Das man ihr ins Grab gegeben hatte,
Schnitt ich einer Handbreit gelber Seide,
Und die trägt mein Bruder als Krawatte. –

Gruslig wars: Bei dunklem oder feuchten
Wetter fing Alwine an zu leuchten.
Trotzdem parallel zu ihr verweilen
Wollt ich ewiglich und immerdar.
Bis sie schließlich an den weichen Teilen
Schon ganz anders und ganz flüssig war.

Aus. Ein. Aus; so grub ich viele Wochen.
Doch es hat zuletzt zu schlecht gerochen.
Und die Nase wurde blauer Saft,
Wo drin lange Fadenwürmer krochen. –
Nichts für ungut: Das war ekelhaft. –
Und zuletzt sind mir die schlüpfrigen Knochen
Ausgeglitten und in lauter Stücke zerbrochen.

Und so nahm ich Abschied von die Stücke.
Ging mit einem Schoner nach Iquique,
Ohne jemals wieder ihr Gebein
Auszugraben. Oder anzufassen.

Denn man soll die Toten schlafen lassen.

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Komm, ich will mich ausziehn!
Das Licht ist schon fort, und ich bin
meiner Kleider so müde.
Zieh mich aus, damit sie glauben
ich sei gestorben, denn nackt
schlaf ich die ganze Nacht,
während sie meinen Schlaf bewachen.
Denn morgen früh, ganz früh,
will ich mein Nackt ausziehen
und in einen Fluß gehn und mich baden,
während Kleid mit Kleide sie
für immer dann verwahren.
Komm, Tod, ich bin ein Kind
und will ausgezogen werden,
denn das Licht ist schon fort und ich
bin meiner Kleider so müde.

Manuel Altolaguirre

Du kommst zurück zum Garten, unter meine Feige,
und deine Seele schwirrt im hohen
Gerüst der Blumen, so wie eine Biene,
die Wachs einsammelt für die Engelskerzen.
Du kommst zurück, da wo sich die Verliebten sehn,
zum Flüstern an den Fenstergittern.

Das Düster meines Blicks wird sich erheitern,
und deine Braut wird mit den Bienen streiten,
ob ihnen oder ihr dein Blut gehört.
Dein Herz jedoch, den Samt, der schon verknittert,
ruf mit der Habgier meiner Liebe ich
zu einem Feld von schaumigen Mandelblüten.

Beim Mandelbaum mit seinen Flügelseelen
aus Rosen wie von Rahm wart ich auf dich,
wir haben von so viel zu reden,
mein Freund, mein einziger! Du und ich!

Miguel Hernández

Die Menschheit auf ihrer kleinen Kugel
geht schlafen, erhebt sich und arbeitet
und manchmal wünscht sie sich Gefährten auf dem Mars

Die Marsmenschen auf ihrer kleinen Kugel
was tun sie? ich weiß nicht
(ob sie schlafafen, rebeben und rabeiten?)
aber manchmal wünschen sie sich Gefährten auf der Erde
das steht völlig außer Zweifel

Die allgemeine Gravitation
das ist die Kraft der sich anziehenden Einsamkeiten

Das Weltall ist gekrümmt
darum streben alle zueinander

Das Weltall dehnt sich rasend schnell aus
darum sind wir alle ruhelos

In der Einsamkeit von zwei Milliarden Lichtjahren
mußte ich unversehends niesen

Tanika Shuntaro