Poesie

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„Gespräche sind das A und O!“
sagt sie — und leert ihr Weinglas
Mein Blick sieht sie an
und fragt sich, wie so oft,
warum es im Schrank
nach Gardenien duftet?
Vielleicht verfing sich ein Hauch
des vergangenen Sommers in ihm —
und plaudert dort mit meinen Erinnerungen
über die Flüchtigkeit eines Moments?
Sie schaut mich an und murmelt:
„Ich verstehe dich.“
Wie so oft …

2001-05-14

Du hast sie gesehen
ihr Körper mond-nackt
Du hast sie gespürt
ihre Worte eisvogel-nass
Man tauscht Telefonnummern
doch du verlierst sie sofort
wie du alles verlieren wirst
weil die Walrösser am Strand
noch nicht fortgegangen sind
und ein Kupferblick
huscht über das Land

2001-05-13

Wie Kreise auf dem Asphalt
zeichnen sich ihre Gedanken
auf ihren Lippen ab
und ihr Mund wird Verheißung
Doch sobald sie ihn öffnet
legt jeder Augenblick
seinen Finger auf ihn —
und lässt sie sprachlos zurück

2001-05-13

Honigfieber
befällt nackte Haut
Spinnwebenhaare
sind längst ergraut
und Eintagshornissen erblinden

Blaustichwunden
sprechen im Chor
Vorgartensteine
blicken empor
können Eiszeitkälte empfinden

Wasbleibtfrüchte
küssen den Wind
Endzeitkreaturen
möchten geschwind
im Mondenwasser entschwinden

2001-09-05

Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.

Alfred Lichtenstein – 1911

Wie spät ist es?
Es ist Bastardzeit!
Ich suche meine
Zahnbürste
und finde doch nur
Borsten.
Wo soll das enden?
Am Cembalo, mein Freund —
und dann hau’n wir in die Tasten!
Schwarz und weiß,
laut und leis‘,
und dazwischen —
Mittelmäßigkeit.
Also ab mit den Haaren
und ins Becken gespuckt —
auf dass der Abfluss
das Leben schluckt.
Ja!
Ich lebe!
Verdammt!

Die Worte fließen!

2000-10-22

Ein Staubbaum wächst
Ein Staubwald überall wo wir gegangen
Und diese Staubhand weh! rühr sie nicht an!

Rings um uns steigen Türme des Vergessens
Türme die nach innen fallen
Aber noch bestrahlt von deinem orangenen Licht!
Ein Staubvogel fliegt auf

Die Sage unsrer Liebe laß ich in Quarz verwahren
Das Gold unsrer Träume in einer Wüste vergraben
Der Staubwald wird immer dunkler
Weh! Rühr diese Staubrose nicht an!

Yvan Goll

Nafikare necesse est.
Meine längste Braut war Alwine.
Ihrer blauen Augen Gelatine
Ist schon längst zerlaufen und verwest. –
Alwine sang so schön das Lied:
„Ein Jäger aus Kurpfalz“.

Wie Passatwind stand ihr der Humor.
– Sonntags morgens wurde sie bestattet
In der Heide, wo kein Bäumchen schattet,
Du auch ihre Unschuld einst verlor.

Donnerstags grub ich sie wieder aus.
Da kamen mir schon ihre Ohrlappen
So sonderbar vor.

Freitags grub ich sie wieder ein.
Niemand sah das in der stillen Heide. –
Montags wieder aus. Von ihrem Kleide,
Das man ihr ins Grab gegeben hatte,
Schnitt ich einer Handbreit gelber Seide,
Und die trägt mein Bruder als Krawatte. –

Gruslig wars: Bei dunklem oder feuchten
Wetter fing Alwine an zu leuchten.
Trotzdem parallel zu ihr verweilen
Wollt ich ewiglich und immerdar.
Bis sie schließlich an den weichen Teilen
Schon ganz anders und ganz flüssig war.

Aus. Ein. Aus; so grub ich viele Wochen.
Doch es hat zuletzt zu schlecht gerochen.
Und die Nase wurde blauer Saft,
Wo drin lange Fadenwürmer krochen. –
Nichts für ungut: Das war ekelhaft. –
Und zuletzt sind mir die schlüpfrigen Knochen
Ausgeglitten und in lauter Stücke zerbrochen.

Und so nahm ich Abschied von die Stücke.
Ging mit einem Schoner nach Iquique,
Ohne jemals wieder ihr Gebein
Auszugraben. Oder anzufassen.

Denn man soll die Toten schlafen lassen.

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Dry Gin
rinn
in
meinen Sinn
(sinnlos)
Los
betäub
bestäub
beraub mich
meines Bewusstseins
(bewusstlos)
Los
verführ
berühr
mein Gespür
— zeig mir die Tür
in eine andere Wahrheit
(Daseinsfrage)
Du Plage
ich verzage —
und versage …
Bewusstseinserweiterung?
Nicht hier
nicht in mir
nicht mit dir
(Schluss)
Ein letzter Kuss
ab in den Abfluss —
ans Meer einen Gruß
Adios Genuss
(Eigene Regie – wie?)
Ironie?
Salut Sherry
mon chéri —
zeig mir deine
Philosophie!
Genie?
Geh nie …

Suchtsüchtig

2000-02-01

Hüpf von der vier
über die eins
(Spannung)
gleich auf die zwei
Füge Zwischenschritte
(tippel, tippel, tippel)
ein
und gelange wieder
zur Absprungstelle
Lebensgroove
Setz ziellos das Highhat
(zing/tippel, zing/tippel, tippel, zing)
Farbnuancen gleich
Klecks hier, Klecks dort
Auflockerung des Systems
Hüpfe
Schwebe
Fliege
getragen von
sphärischen Klängen
aus der Hammond-Orgel
Co-Musiker kommen
und gehen
Combofluss
Dann und wann
treten Snaredrums
in Deinen Hintern
Drill, in Maßen,
schadet nicht
Aber meide gleichförmige
Notenverteilung
und am Ende
bleibt nur ein Fazit:
„Das war eine coole Session!“

2000-05-04

Anmerkung
In der ursprünglichen Version endete das Gedicht mit einer weiteren Zeile, in welcher nur der Satz  Tod.  stand. Das empfinde ich heute (Mai 2021) als überflüssige Offensichtlichkeit.